Ad Hominem
Das Ad Hominem-Argument (dt.: Den Menschen betreffend / auf den Menschen bezogen) ist eine destruktive Taktik, mit der man in einer Diskussion von der Sachebene auf die persönliche Ebene wechselt. Statt ein Argument, eine Behauptung oder eine These zu diskutieren, wird man persönlich angegriffen. Nicht selten werden regelrechte Beleidigungen unter der Gürtellinie eingesetzt.
Wie funktioniert es?
Statt sich mit dem Thema des Gesprächs auseinanderzusetzen oder die Grundsätze allgemeiner Höflichkeit einzuhalten, versucht man, das Gegenüber zu demütigen und mit Beleidigungen aus dem Konzept zu bringen. Ziel ist hier, das Gespräch nicht nur durch Ablenkung zu stören, sondern komplett zu beenden und die andere Person zu verletzen und so zum Schweigen zu bringen (Silencing, eine Form des Tone Policing).
Etwas „fortgeschrittener“ wird es, wenn ein Zusammenhang zwischen dem Gegenstand der Diskussion und dem Ad Hominem hergestellt wird. Hierbei geht es darum, die Gesprächspartner*innen zu diskreditieren, indem ihnen das Recht abgesprochen wird, sich zu einem bestimmten Thema zu äußern. Zum Beispiel bei der besonders herausfordernden Form des „Tu quoque“ (dt.: Du auch). Das Argument/die These des Gegenübers wird zurückgewiesen, indem darauf hingewiesen wird, dass er oder sie das Kritisierte ja selbst tun würde.
Im Ad Hominem verstecken sich oft auch ein Falsches Dilemma und der Vorwurf der Heuchelei: „Für dich gelten andere Regeln als für mich“, und meistens natürlich strengere Regeln. Ich stelle mich dann auf eine höhere Stufe, weil ich mir herausnehmen kann, mich von Regeln zu befreien, du aber nicht.
Dass das nicht immer zutreffend ist, erschließt sich oft erst bei der tieferen Beschäftigung, z.B. dass es Gründe für eine Ungleichbehandlung derselben Handlung gibt. Beispiel Flugreisen – wenn ich als Forschende*r alle zwei Jahre zu einer Konferenz fliege, kann man das rechtfertigen, und ich kann trotzdem darauf hinweisen, dass Flugreisen klimaschädliche Auswirkungen haben.
Ein paar Beispiele
Aus dem Alltag kennen die meisten Menschen die Variante, bei der einem statt einer inhaltlichen Entgegnung eine Beleidigung an den Kopf geworfen wird: Das klassische „Du bist doof!“, mit dem ein Gespräch beendet wird, wenn einem die Argumente ausgehen.
Hier findet man in den Kommentarspalten der sozialen Medien reichhaltiges Anschauungsmaterial.
Ad hominem kann auch als Bodyshaming oder Lookism (Diskriminierung oder Beleidigung aufgrund des Aussehens) auftreten. Sich über Äußerlichkeiten lustig zu machen, ist einfacher, als sich intellektuell mit Standpunkten und Argumenten auseinanderzusetzen. Besonders betroffen sind Politiker*innen und Aktivist*innen wie zum Beispiel Ricarda Lang. Reaktionen auf Reden oder Beiträge bestehen zu einem großen Teil aus sexistischen Beleidigungen, Bodyshaming und vulgären Entgleisungen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Positionen findet so gut wie nicht statt.
Auch das Tu quoque-Scheinargument ist weit verbreitet und vielen vertraut. So wie beim Whataboutism „aber andere tun das auch!“ dazu dienen soll, vom Inhalt des Gesagten abzulenken, ist es auch beim Tu quoque der Fall: Wenn ein*e Raucher*in erklärt, dass Rauchen gesundheitsschädlich ist, dann ändert das eigene Verhalten nichts an der Belegbarkeit der Aussage. „Aber du rauchst doch auch!“ ist ein Angriff auf die Person, der nichts mit dem Inhalt des Gesagten zu tun hat und nicht geeignet ist, diesen zu entkräften oder zu widerlegen.
Warum ist sie so gefährlich?
Ebenso wie Cherry Picking und Strohmann ist auch das Ad Hominem eine einfache und extrem naheliegende, für jede*n verfügbare destruktive Technik, die aber dennoch nicht selten ihre Ziele erreicht: Eine Diskussion zu stören, vom Thema abzulenken und den*die Gesprächspartner*in zum Schweigen bringen, bis er oder sie sich zurückzieht. Durch das Fehlen einer guten Moderation in sozialen Medien ist das Ad hominem allgegenwärtig. Viele Menschen beteiligen sich daher gar nicht mehr an Diskussionen, da sie unsachliche Anfeindungen und Bloßstellungen vermeiden wollen.
Die Technik richtet somit Schaden an, der über das einzelne Gespräch hinausgeht. Ad Hominem demütigt die Gesprächsteilnehmenden, ruft Trolle auf den Plan und kann als eine Form des Online Mobbings angesehen werden. Durch fortgesetztes Brechen von Diskursregeln verschärft sich das Klima und es wird immer schwieriger, auf konstruktive und faire Diskussionen zu pochen.
Was tun, und was nicht?
- Vorsicht vor der Verteidigungshaltung: Auch wenn es nachvollziehbar ist, sollte man sich nicht gegen unsachliche oder ungerechtfertigte Vorwürfe verteidigen und so das Spiel mitspielen. Sonst hat das Gegenüber das Ziel der Ablenkung erreicht.
- Die Taktik erkennen und benennen. Wenn keine gemeinsame Unterhaltung auf der Sachebene möglich ist, und das Gegenüber nicht beim Thema bleiben will oder kann, kann man das Gespräch beenden.
- Möglichst nicht “zurückbeleidigen”. Zum einen begibt man sich auf die gleiche Stufe wie das beleidigende Gegenüber, zum anderen macht man sich auch juristisch angreifbar. Eine emotionale Distanz zu entwickeln kann hilfreich sein, zumindest in der Diskussion mit Fremden im Internet.
- Für Außenstehende oder Mitlesende deutlich machen, dass man vorhat, auf der Sachebene zu bleiben, während das Gegenüber konsequent Diskursregeln bricht.
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