Das Autoritätsargument

Das Autoritätsargument, auch “appeal to authority” oder lat. “argumentum ad verecundiam” (Argument durch Ehrfurcht) genannt, ist ein logischer Fehlschluss, bei dem eine vorgebrachte Behauptung nur dadurch untermauert wird, indem sie einer Autoritätsperson zugeschrieben wird. Diese hat entweder im weiteren Sinne etwas mit dem fraglichen Thema zu tun, führt beeindruckende Titel, oder ist in vielen Fällen sogar Nobelpreisträger*in. Sieht man über diese Äußerlichkeiten hinweg und untersucht die vorgebrachte Behauptung inhaltlich, ist diese jedoch meist nicht haltbar. Es wird also versucht, das Argument durch das Vorschieben einer Autoritätsperson unangreifbar zu machen, indem man suggeriert, dass man mit der Behauptung auch gleich die Autoritätsperson angreift.

Die Grundlage dieser Taktik ist die Tatsache, dass der Sachverhalt, sowohl was das behandelte Thema selbst, als auch was die Expertise angeht, oft komplex und der Allgemeinheit wenig bekannt ist.

Wie funktioniert es?

In einer beliebigen Diskussion wird an passender Stelle eine aufgestellte Behauptung damit “belegt”, dass ein*e Nobelpreisträger*in, Wissenschaftler*in, oder sonst irgendwie bekannte Person dies bestätigt oder genauso sieht. Meist findet sich dieses Argument daher oft bei wissenschaftlichen Themen unserer Zeit, wie bei Fragen zur Klimakrise oder während der Pandemie zum Coronavirus.

Durch die Tatsache, dass ein Nobelpreis oder Titel in der Öffentlichkeit zunächst als quasi unumstößlicher Beleg für Kompetenz und Wissen wahrgenommen werden, wird auf eine nähere Untersuchung der vorgebrachten Behauptung verzichtet und diese oft vorbehaltlos angenommen. Durch das Einsetzen eines Autoritätsarguments hängt die Stärke des Arguments daher nun nicht mehr von der Qualität der Behauptung ab, sondern von der Reputation der Autoritätsperson.

Die Autorität muss jedoch nicht zwangsläufig eine einzelne Person sein. Während der Pandemie wurden viele Maßnahmen damit kritisiert, dass sich “Lungenärzte” dagegen aussprechen würden. Entsprechende Petitionen (“100 Lungenärzte gegen Corona-Diktatur” o.ä.) kursierten. Hier wurde z.B. auf der Tatsache aufgebaut, dass die allgemeine Öffentlichkeit nicht einordnen kann, dass eine Expertise als Lungenärzt*in bei weitem nicht ausreichte, um die getroffenen Behauptungen fachlich zu untermauern.

Ein paar Beispiele

Kary Mullis (1944-2019) erhielt 1993 zusammen mit Michael Smith den Nobelpreis für Chemie für die Entdeckung der PCR, die während der Pandemie zu einem wichtigen Werkzeug wurde. In seinen späteren Lebensjahren leugnete er jedoch die Existenz des AIDS-Virus, den Klimawandel und behauptete sogar selbst, dass sein Test keine Viren nachweisen könne, was definitiv Unsinn ist. In Autoritätsargumenten wird Mullis jedoch bis heute als “Beleg” für allerlei medizinischen Schwurbel, sowie zur Klimawandel-Leugnung herangezogen.

Entdeckte die PCR, wendete sich später jedoch der Pseudowissenschaft zu: Kary Mullis
Entdeckte die PCR, wendete sich später jedoch der Pseudowissenschaft zu: Kary Mullis
Bild: Dona Mapston, CC BY-SA 3.0

Luc Montagnier (1932-2002) erhielt 2008 zusammen mit Françoise Barré-Sinoussi den Nobelpreis für Medizin für die Entdeckung des HI-Virus. Seither hat er sich jedoch zum Paradebeispiel für Pseudowissenschaft entwickelt und erarbeitete zuletzt Thesen, die auf dem sogenannten Wassergedächtnis nach Emoto aufbauen, einem Urgestein der Pseudowissenschaften. Während der Pandemie hatte Montagnier ein “Comeback” als angeblicher Beleg zur Behauptung, das Virus sei in einem Labor gezüchtet worden. Da seine “Forschungsarbeit” dazu überall als unwissenschaftlich abgelehnt wurde, veröffentlichte er diese kurzerhand in seinem eigenen Journal. Doch egal wie unsinnig seine Behauptungen auch sind, seine Wirkung in einem Autoritätsargument ist ungebrochen.

Entdeckte das HI-Virus und später seine Leidenschaft für Schwurbel: Luc Montagnier
Entdeckte das HI-Virus und später seine Leidenschaft für Schwurbel: Luc Montagnier

Horst-Joachim Lüdecke ist ehemaliger Professor für Technik und Wirtschaft des Saarlandes. Nach eigenen Angaben hat er sich nach seiner Pensionierung in seiner Freizeit selbständig in die Klimaforschung eingearbeitet. Obwohl er, was Klimawissenschaften angeht, völlig fachfremd ist und sich seine Alma Mater, die Universität Heidelberg, mittlerweile wegen Unwissenschaftlichkeit von ihm distanziert hat, wird mit seiner vermeintlichen Autorität ein ganzes Arsenal von wissenschaftlich unhaltbaren Behauptungen zur Klimakrise zu untermauern versucht.

Horst-Joachim Lüdecke, Physiker für Strömungstechnik im Ruhestand, der für den Lobbyistenverein EIKE e.V. zum Klimawissenschaftler "umgeschult" hat.
Horst-Joachim Lüdecke, Physiker für Strömungstechnik im Ruhestand, der für den Lobbyistenverein EIKE e.V. zum Klimawissenschaftler "umgeschult" hat.
Bild: SwissJournalist2, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Warum ist es so gefährlich?

Das Autoritätsargument ist eine gefährliche Verkürzung und Vereinfachung von wissenschaftlichen Tatsachen. Es vermittelt Vertrauen in die Richtigkeit der Behauptung auf einer rein emotionalen Ebene, täuscht aber Wissenschaftlichkeit und Sachlichkeit in den Belegen vor. Es klingt jedoch nur wissenschaftlich oder fachlich fundiert, ohne wirklichen Inhaltswert. Dadurch lässt sich fast jede “schwache” oder nicht zu belegende Behauptung durch ein Autoritätsargument immunisieren.

Haben die verwendeten Autoritäten noch eine entsprechende Reputation bei der Zielgruppe, und sind diese politisch und lobbyistisch vernetzt, kann dies dazu beitragen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu gefährden: Horst-Joachim Lüdecke ist beispielsweise Pressesprecher des EIKE e.V, dem europäischen “Institut” für Klima und Energie, dem man nicht nur AfD-Nähe zuschreiben kann, sondern welches sogar Personalunion mit ihr auf Führungsebene hat.

In der breiten Öffentlichkeit entsteht durch das Autoritätsargument ein verzerrtes Bild der tatsächlichen Situation, da sich unwissenschaftliche Argumente in “wissenschaftlicher Autoritätsverpackung” im Bewusstsein der Bevölkerung festsetzen.

Was tun, und was nicht?

Kernpunkt der Strategie ist die vermeintliche Expertise der Autoritätsperson, daher sollte man sich diese genauer ansehen. Folgende Punkte sind dabei zu beachten:

  • Welches Fachgebiet deckt die Autoritätsperson wirklich ab? Hat dies wirklich etwas mit der Behauptung zu tun? Vorsicht: moderne Wissenschaften sind sehr speziell, Biolog*in ist z.B. nicht gleich Biolog*in! Auch Nobelpreise sind sehr speziell auf die erbrachte Leistung formuliert, ein Literaturnobelpreis lässt ein falsches medizinisches Argument nicht richtig werden.
  • Wann war die Autoritätsperson in ihrem Fachgebiet aktiv? Wer – wie z.B. Sucharit Bhakdi – seit rund 20 Jahren nicht mehr wissenschaftlich gearbeitet hat, ist überhaupt nicht mehr im Thema und kann zu aktuellen Forschungsfragen wenig beitragen.
  • Vorsicht auch bei übermäßigem Gebrauch von Titeln, inklusive Ehrendoktorwürden: Werden aus einer gefühlten Notwendigkeit heraus alle verfügbaren Titel in die Waagschale geworfen, könnte es sein, dass damit von der wirklichen fachlichen Expertise abgelenkt werden soll.
  • Es gibt auch Sonderfälle! Auch ein Autoritätsargument kann gültig sein, wenn folgende Punkte erfüllt sind:
    • Die Autorität ist vertrauenswürdig und fachlich kompetent
    • Die Autorität wird korrekt zitiert (oft wird eine reale Aussage aus dem Kontext gerissen)
    • Autoritäten, die eine Gegenansicht vertreten, werden nicht ignoriert

Auch wenn das Widerlegen eines Autoritätsarguments, bzw. die Recherche zu den Personen etwas aufwändiger sein kann, lohnt sich diese dennoch und ist sogar sehr wichtig, damit sich nicht jede beliebige Behauptung in der Gesellschaft festsetzen kann.

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