Das falsche Dilemma
Ein „falsches Dilemma“ (auch falsche Dichotomie, engl. false dichotomy) ist eine rhetorische Technik, mit der unterstellt wird, es gebe als Lösung einer strittigen Frage nur zwei mögliche, aber unvereinbare Antworten, und es sei nötig, sich voll und ganz für eine der beiden Varianten zu entscheiden.
Wie funktioniert es?
Das Gegenüber soll durch die scheinbare Notwendigkeit, sich zwischen zwei Alternativen entscheiden zu müssen, unter Zugzwang gesetzt werden.
Gleichzeitig wird eine Position unterstellt, die er*sie gar nicht vertritt. Hier kommt auch die Taktik des sogenannten Strohmanns ins Spiel, bei der ein Fehlschluss provoziert wird. Durch beide Effekte behalten diejenigen, die ein falsches Dilemma ins Gespräch einbringen, in der Diskussion die Oberhand. Die Gesprächspartner*innen werden genötigt, Stellung zu beziehen. Dabei hat sich das Thema der Diskussion jedoch längst durch das falsche Dilemma verschoben.
Lässt man sich überrumpeln, gibt man den Faden der Gesprächsführung aus der Hand. Zusätzlich wird eine der beiden Alternativen auch noch als deutlich unattraktiver oder unrealistischer dargestellt, um so eine Zustimmung/Ablehnung wahrscheinlicher zu machen und die Diskussion in die gewünschte Richtung – weg vom eigentlichen Thema – zu lenken.
Ein paar Beispiele
In der populistischen Rhetorik wird diese Figur häufig in knackigen, prägnanten Slogans verwendet: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ oder „Alles oder Nichts“.
Beispiele aus der politischen Debatte der letzten Jahrzehnte wären „Wer gegen mehr Überwachung ist, steht auf der Seite des Verbrechens“ oder „Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren“ (Christian Lindner am 20.11.2017 nach Koalitionsgesprächen).
Im ersten Beispiel wird unterstellt, dass „mehr Überwachung“ die einzige Möglichkeit sei, Verbrechen zu bekämpfen, was alle anderen Ansätze (Prävention, Forschung, Rehabilitation und mehr) ausblendet und offenkundig zu kurz greift.
Das zweite Beispiel ist ähnlich verkürzend, da es außer nicht und falsch zu regieren auch noch die Möglichkeit gibt, so gut wie möglich zu regieren.
Ein ebenfalls oft im Populismus verwendetes falsches Dilemma ist die Frage, warum man geflüchteten Menschen helfe, nicht jedoch den obdachlosen Menschen im eigenen Land. Dies suggeriert, man könne nur eines von beiden tun, während in Wirklichkeit beiden Menschengruppen gleichzeitig geholfen werden kann – und natürlich auch wird. In diesem Fall stellt dieses falsche Dilemma zusätzlich noch einen Whataboutism dar, da beide Themen zunächst überhaupt nichts miteinander zu tun haben.
Es gibt allerdings auch Sachverhalte, in denen es nur 0 oder 1, richtig oder falsch gibt, und bei der die Entscheidung für eine dieser Möglichkeiten die andere logischerweise ausschließt, beispielsweise Evolutionstheorie oder Kreationismus: Die Evolotionstheorie ist eine wissenschaftliche Theorie. Folgt man dieser, so schließt dies die Grundlage des Kreationismus kategorisch aus; hängt man dem kreationistischen Glaubenskonstrukt an, so kann man niemals die Wissenschaft damit in Einklang bringen.
Was bewirkt die Strategie?
Sie spitzt eine Debatte unnötig zu und sorgt für eine Verengung des Diskurses. Debattierende werden unter Druck gesetzt. Das Gespräch verläuft nicht mehr lösungsorientiert, sondern es bilden sich zwei Lager, die sich zunehmend unversöhnlich gegenüberstehen. Eine Übereinkunft ist nur noch schwer zu erreichen.
Ein Blick in die USA zeigt, wohin dies in der politischen Landschaft letzten Endes führen kann: Demokraten und Republikaner stehen auf verschiedenen Seiten des politischen Spektrums, jedoch ohne jegliche Alternative zwischen beiden Positionen. Das politische Denken ist fast nur noch schwarz-weiß: Entweder „open borders“ oder „closed borders“. Entweder „Pro Life“ oder „Pro Choice“. Jegliche Schattierungen dazwischen, und damit auch mögliche Kompromisse, werden von vornherein ausgeschlossen.
Warum ist sie so gefährlich?
Während bereits im direkten Gespräch deutlich wird, dass diese Technik eine Verständigung erschwert und zu einer Verhärtung von Positionen führt, ist sie auf gesellschaftlicher Ebene noch destruktiver.
Durch mediale Kommunikation und entsprechende Formate wächst der Druck, möglichst „knackig“ zu formulieren, schnelle Entscheidungen und Positionierungen auszulösen und möglichst viele Unterstützer*innen in das eigene Lager zu ziehen. Diese Taktik kommt einem Wunsch nach eindeutiger Zugehörigkeit entgegen, da sie eine klare und deutliche Abgrenzung nach außen anbietet sowie die Gewissheit, die (einzige) richtige Seite zu vertreten.
Dabei wird jedoch durch die oben beschriebenen Effekte eine Verhärtung der Fronten erreicht. Alternativen zur eigenen Ansicht, gleich welcher Art, werden von vornherein abgeblockt, eine Diskussion damit quasi unmöglich gemacht.
Was tun, und was nicht?
- Nicht unter Zugzwang setzen lassen. Bevor man sich für eine von zwei vorgegebenen Möglichkeiten entscheidet, sollte man stets sorgfältig prüfen, ob diese Alternative wirklich in der Form so besteht.
- Wenn es sich um eine falsche Dichotomie handelt: Benennen der Taktik und klarmachen, dass man nicht darauf eingeht.
Differenzierung: “Ich stimme in dieser bestimmten Frage X zu, in anderen Punkten widerspreche ich ihrer/seiner Position jedoch entschieden”. - Aufzeigen weiterer Möglichkeiten, beispielsweise während der Corona-Pandemie: Es gibt nicht nur die beiden Möglichkeiten kompletter Lockdown und Stillstand des gesamten öffentlichen Lebens für immer und Aufhebung sämtlicher Einschränkungen, sondern eine Vielzahl verschiedener Maßnahmen, die individuell hoch- und wieder zurückgefahren werden können, um je nach Situation den bestmöglichen Schutz zu erreichen.
Oder z.B. bei dem Klassiker „Geflüchtete vs. Obdachlose“ darauf hinweisen, dass beides möglich ist und praktiziert wird.
Hat dir der Artikel gefallen?
Wir sind für unsere Arbeit auf Spenden angewiesen. Um uns zu unterstützen, kannst du bequem unser PayPal-Spendenkonto spenden@dergoldenealuhut.de nutzen (an Freunde senden) oder unser Spendenkonto bei der Postbank.
Kontoinhaber: Der goldene Aluhut gUG (haftungsb.) IBAN: DE36 1007 0399 0054 2787 00 – BIC: DEUTDEBBP32